Einfache Sprache entlarvt hohle Phrasen
Sylvie Bonne über die Herausforderungen verständlicher SpracheWas hat Sie ursprünglich dazu motiviert, sich mit Leichter Sprache und später mit Einfacher Sprache zu beschäftigen?
Meine Arbeit mit Erwachsenen mit Lernschwierigkeiten, die wenig Zugang zum Lesen und Schreiben haben. Das war vor 30 Jahren – also vor dem Internet. Für ihre berufliche Ausbildung gab es keine leicht verständlichen erwachsengerechten Inhalte. Wir haben dann am PC die nötigen Lernmaterialien hergestellt: Piktogramme und leicht verständliche Texte.
Sie haben 20 Jahre lang bei einem der Pioniere für Leichte Sprache in Luxemburg gearbeitet. Wie hat sich Ihr Verständnis von sprachlicher Barrierefreiheit in dieser Zeit entwickelt?
Im Rahmen der Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderung sollten immer mehr Themen leicht erklärt werden, auch Themen, die den selbständigen Alltag sowie die eigenen Rechte betreffen. Die europäischen Regeln der Leichten Sprache gaben dem Vorankommen einen weiteren Auftrieb. Es musste viel Sensibilisierung gemacht werden, es gab noch viele Widerstände… Die Akzeptanz von Texten in Leichter Sprache ist aber inzwischen viel besser.
Was hat Sie schließlich dazu bewogen, den Schritt in die Selbstständigkeit als Expertin für Einfache Sprache zu wagen?
Ich wollte, dass es in Luxemburg insgesamt mehr leicht verständliche Texte gibt, in Leichter Sprache, aber auch in Einfacher Sprache. Manche Webseiten sehen auf Anhieb hübsch aus, haben aber komplizierte Inhalte. Die Texte werden nicht immer „nutzergerecht“ aufbereitet, sondern im Fachjargon des Unternehmens oder der Administration verfasst. Ich wollte daher ein Gesamtpaket anbieten, nah an der Praxis der Unternehmen orientiert, mit Beratung, Begleitung und Vereinfachung der Inhalte.
Wie unterscheiden sich für Sie die Leichte und die Einfache Sprache – fachlich, aber auch in der praktischen Anwendung?
Erstmal: Was haben sie gemeinsam? Beides sind sehr klare Sprachen, beide vereinfachen Inhalte für erwachsene Nutzer. Die Struktur und die Gestaltung sind wichtig: zentrale Informationen soll man schnell finden.
Leichte Sprache vereinfacht viel stärker, so dass auch Nutzer mit sehr wenig Lese- und Lernerfahrung besser verstehen können. Die Gestaltung fällt sofort auf: die Schrift ist größer, die Sätze haben etwa 8 Wörter. Es gibt kaum Nebensätze. Die Abschnitte sind sehr kurzgehalten. Ein neuer Satz beginnt in einer neuen Zeile. Die Wörter sind geläufige Begriffe aus dem Alltag. Es gibt viele Erklärungen, Beispiele und Bilder. Außerdem ist die Zusammenarbeit mit der Zielgruppe „Menschen mit Lernschwierigkeiten“ wichtig.
Einfache Sprache hat einen größeren Wortschatz, längere Sätze, ohne aber Fachsprache zu sein. Auch hier werden besondere fachsprachliche Begriffe erklärt, gerne auch mit Beispielen.
Einfache Sprache bleibt nah an der Alltagssprache. Einen Begriff wie „Dokumente“ müsste die Einfache Sprache nicht erklären, die Leichte Sprache aber schon.
Manche Texte liegen zwischen „leicht und einfach“, was sich dann „Leichte Sprach Plus“ oder „sehr Einfache Sprache“ nennt.
Einfache und Leichte Sprache können sich ergänzen. Manche Menschen brauchen unbedingt Leichte Sprache, das möchte ich hier betonen. Es gibt also nicht eine einzige Lösung für alle. Manchmal ist der Weg von der Fachsprache zur Leichten Sprache aber nicht direkt machbar. Oder es braucht für das Zielpublikum der Leichten Sprache ein anderes Medium: zum Beispiel eine schriftliche Zusammenfassung des Themas, mit Kontaktadressen wo man mehr erfahren kann, und dazu noch ein Erklärvideo. In dem Fall hilft es, wenn der komplexe Inhalt schon in Einfacher Sprache zur Verfügung steht.
Es freut mich, dass vor zwei Jahren internationale Empfehlungen zur einfachen Sprache in der DIN/ ISO 24495-1 gesammelt und veröffentlicht wurden. Inzwischen gibt es einen weiteren Teil zur juristischen Einfachen Sprache.
Berufliche Erfahrungen und Herausforderungen
Sie arbeiten heute mit sehr komplexen Themen, wie etwa dem Bankenwesen. Wie gehen Sie an solche Inhalte heran, wenn Sie sie barrierearm aufbereiten sollen?
Zuerst berate ich mich mit dem Unternehmen, das seine Inhalte vereinfachen möchte: Wie ist das Team aufgestellt? Gibt es Vorerfahrungen mit Leichter oder mit Einfacher Sprache, mit Barrierefreiheit? Wer ist die Zielgruppe? Wie und wo kommen diese Nutzer später an die Inhalte? usw. Es ist wichtig, dass meine Ansprechpersonen die Prinzipien der Einfachen Sprache kennenlernen. Das kann während einer kurzen Einführung sein.
Bei der Durchsicht bestehender Unternehmenstexte geht es oft darum, die Struktur zu ändern, Zwischenüberschriften zu machen, genaue Erklärungen für die Fachbegriffe zu schreiben, so dass ein Laie (wie ich) diese versteht. Das entwickele ich zusammen mit dem Unternehmen, das ja die fachliche Kompetenz zum Thema hat. Gerade bei juristischen Themen, ist eine ständige Absprache wichtig. Der vereinfachte Text muss immer korrekt bleiben. Jedes Teammitglied soll die nötigen „Eingriffe“ in den Ausgangstext nachvollziehen und als gültig bestätigen können.
Welche Reaktionen erhalten Sie typischerweise von Fachleuten, wenn Sie Texte aus ihrem Arbeitsbereich „vereinfachen“?
Ich arbeite gerne mit einem praktischen Beispiel aus dem Unternehmen, das ich dann „einfach“ aufbereite. Das hilft, wenn Einfache Sprache für komplexe Themen schwer vorstellbar ist. Meistens sind die Reaktionen positiv, denn eigentlich will jeder es für die Zielgruppe verständlich haben. Aber es selbst umzusetzen ist schwierig, wenn man täglich mit dem Fachjargon arbeitet.
Gab es ein Projekt, das für Sie besonders herausfordernd oder überraschend war – vielleicht gerade, weil der Fachbereich besonders „geschützt“ oder konservativ war?
Es ist dann schwer, wenn ein Unternehmen oder beispielsweise eine politische Partei vage Begriffe benutzt. Dann muss herausgearbeitet werden, was genau gemeint ist. Manchmal wird dann auch intern klar, dass es noch Widersprüche gibt und man sich eigentlich noch mal bereden muss. Manchmal ist es schwer, gute Beispiele zu finden, ohne zu steuern oder den Blick auf das Thema einzuengen…
Sie haben mit uns am Glossar und am Ratgeber für Einfache Sprache im Bankenbereich gearbeitet. Was war Ihnen bei dieser Zusammenarbeit besonders wichtig?
Der Ratgeber sollte kurz und praktisch bleiben für die Angestellten. Es sind nicht alle Details enthalten. Das Glossar ist eine gute Hilfe, um wichtige Fachbegriffe genauer zu erklären. Es war auch wichtig zu bedenken, welche Begriffe im Mündlichen verwendet werden, zum Beispiel im Luxemburgischen. Beim Glossar gefällt mir, dass die Beispiele verschiedene Menschen in unterschiedlichen Alltagskontexten zeigen.
Wirkung, Akzeptanz und Perspektiven
Welche Rückmeldungen erhalten Sie von den eigentlichen Zielgruppen barrierearmer Texte?
Viele Menschen begrüßen, wenn eine Information klar und einfach gehalten ist. Das spart Zeit und Nerven. Je nach dem geht es sogar um die Sicherheit, zum Beispiel eine Anweisung richtig verstehen können. Es geht auch um die eigenen Rechte: ich möchte mich richtig informieren, und dann entscheiden, ob ich etwas will oder nicht.
Inwieweit beobachten Sie, dass Organisationen beginnen, sprachliche Barrierefreiheit als Teil ihrer allgemeinen Barrierefreiheit mitzudenken – nicht nur als Add-on, sondern strategisch?
Schwer zu sagen. Im sozialen Bereich sicher. In den Administrationen immer mehr. Ich sehe gute Ansätze.
Leider wird der Bedarf an Zeit und Budget für sprachliche Barrierefreiheit nicht systematisch von Anfang an eingeplant.
Und nicht ganzheitlich: denn es reicht nicht, den Inhalt zu vereinfachen, er muss auch gut sichtbar auf der Webseite zu finden sein. Und dort barrierefrei für die Nutzer mit verschiedenen Behinderungen sein.
Gibt es typische Missverständnisse oder Vorurteile über Einfache Sprache, denen Sie regelmäßig begegnen?
Mehr bei der Leichten Sprache, aber dort auch inzwischen weniger. Einige fürchten eine sprachliche Verarmung. Dann sage ich: Es geht darum, dass die Information bei den Menschen ankommt. Leichte Sprache ist ein zusätzliches Angebot. Und um eine Sprachekompetenz zu pflegen, gibt es andere Mittel.
Bei Einfacher Sprache sind diese Argumente kaum präsent, da sie ja nicht anders aussieht und auch die Rechtschreibung nicht geändert wird. Sie muss kein zusätzliches Angebot sein, sie kann die klobige administrative Sprache ersetzen. In juristischen Fragen wird sich damit schwergetan, da ist es dann oft eine erklärende Ergänzung. Aber eine Webseite sollte mindestens in Einfacher Sprache sein, wenn sie sich an ein breiteres Publikum richtet.
Wie sehen Sie die Zukunft sprachlicher Barrierefreiheit – in Luxemburg, aber auch international? Wo liegen aus Ihrer Sicht die nächsten wichtigen Schritte?
Im Moment sind ja die neuen Technologien viel im Gespräch. Sie können eine Unterstützung sein, um komplexe Texte zu überarbeiten. Man muss aber bedenken, dass die AI eine weitere „Person“ im Team sein wird, und nicht der schnelle, kostengünstige Weg, der mit einem Klick einen supertollen einfachen Text hergibt. Dahinter braucht es immer noch eine Person, die sich gut mit den Bedürfnissen der Nutzer auskennt. Es ist zu begrüßen, dass Luxemburg eine eigene AI entwickelt, die zumindest die administrativen Bereiche unterstützen wird, um kundenfreundliche, vereinfachte Informationen aufzubereiten.
Eine weitere Entwicklung sind digitale Alternativen zu den „alten“ Druckmedien. Man kann sich Texte vorlesen lassen, auf audiovisuelles Material zurückgreifen, einem Freund eine Sprachnachricht schicken.
Apps können Sprachnachrichten verschriftlichen, je nachdem gleich in eine andere Sprache übersetzen. Das bringt neue Möglichkeiten aber auch Herausforderungen an die Fachleute mit sich.
Was wünschen Sie sich persönlich von Institutionen, die mit Bürger*innen kommunizieren – sei es im Sozial-, Bildungs- oder Finanzbereich?
Den ersten Schritt schneller wagen. Mit einem kleinen Pilot-Projekt beginnen, das ein guter „Türöffner“ für die Einfache oder die Leichte Sprache sein kann.
Ein Unternehmen kann schon mit einfachen Mitteln viel tun. Manchmal fehlt nur der Blick von außen…und ein bisschen Unterstützung.
Was würden Sie jungen Fachleuten mitgeben, die sich für barrierefreie Kommunikation interessieren?
Leute, greift zu! Es gibt ganze Studiengänge über „barrierefreie Kommunikation“ oder über Medien und Kommunikation… Und bei der rasanten Entwicklung, kann das doch nie nicht langweilig werden 😊
Zum letzten Mal aktualisiert am