Um eine inklusive Gesellschaft zu fördern, braucht es mehr als gute Absichten

Interview Christine Zimmer, Info-Handicap

Christine Zimmer hat einen Masterabschluss in Marketing und Kommunikation von der Universität Paris-Panthéon-Assas. Sie begann ihre berufliche Laufbahn bei Deloitte Luxemburg, wo sie für die Geschäftsentwicklung und Kommunikation für den luxemburgischen Nichtfinanzsektor zuständig war. Nach einer Zeit in Marketing- und Kommunikationsagenturen (Comed und 101 Studios) gründete sie ihr eigenes Unternehmen, Anchor strategies and communication, und arbeitete parallel dazu bei HITEC Luxembourg und dem House of Training, wo sie auch Mitglied des Management Committee war. Seit dem 1. Januar 2024 ist sie Direktionsbeauftragte bei Info-Handicap, dem nationalen Rat für Menschen mit Behinderungen.

 

Frau Zimmer danke für ihre Zeit. Für unsere Leser die Info-Handicap nicht kennen, können Sie uns Ihren Dienst bitte mal kurz vorstellen?

Info-Handicap – Conseil national des personnes handicapées ist die zentrale Anlaufstelle und der nationale Rat für Menschen mit Behinderungen.

Seit 1993 repräsentiert Info-Handicap national und international die Rechte von Menschen mit Behinderungen und bringt Menschen mit Behinderungen durch seine über 60 Mitgliedsvereine zusammen.

Unser nationales Informations – und Begegnungszentrum für Menschen mit Behinderungen bietet Information und Beratung, macht Projekte im Bereich Barrierefreiheit, bietet Weiterbildungen an und unternimmt Sensibilisierungsmaßnahmen.

Unser Leitmotiv ist „Nichts über uns, ohne uns!“. Menschen mit Behinderungen werden aktiv in unsere Aktivitäten und Projekte eingebunden. Unser Ziel ist eine inklusive Gesellschaft, die niemanden zurücklässt.

Jeder kann sich an Info-Handicap wenden! Menschen mit und ohne Behinderungen, genauso wie Angehörige, Personen aus dem Umfeld, Arbeitgeber, pädagogische Fachkräfte und alle interessierten Personen.

 

Mission des OSAPS ist es unter anderem ja sicher zu stellen, Wirtschaftsakteure für die Wichtigkeit der Barrierefreiheit zu sensibilisieren. Info-Handicap bietet ebenfalls Weiterbildungen für Unternehmen an, um diese zu sensibilisieren. Können Sie uns dieses Weiterbildungsprogramm bitte kurz vorstellen?

Um eine inklusive Gesellschaft zu fördern, braucht es mehr als gute Absichten. Es erfordert Wissen, Verständnis und praktische Fähigkeiten, um Barrieren abzubauen und auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen zu verstehen und auf sie einzugehen. Deshalb bieten wir gezielte Weiterbildungen an, die Sensibilität schaffen und konkrete Verhaltensweisen für den Alltag vermitteln.

Unsere Weiterbildungen:

  • Vorbereitung auf die Aufnahme einer Person mit Behinderung am Arbeitsplatz
  • Wie kommuniziere ich mit einer Person mit Behinderung?
  • Sensibilisierungsmittage (in Unternehmen)
  • Sensibilisierungsmittage (für nicht-kommerzielle Einrichtungen)
  • Maßgeschneiderte Sensibilisierungstrainings
  • Kontrolleur für Barrierefreiheit (CTA)

Generell erhalten die Teilnehmer während unseren Weiterbildungen eine Einführung in die Thematik. Info-Handicap stellt sich vor und erklärt wie die Kommunikation mit einer Person mit Behinderung an deren spezifische Bedürfnisse angepasst werden kann.

Es geht auch um die Definition und Typologie von Behinderungen (motorisch, sensorisch, intellektuell, psychisch, kognitiv und unsichtbar) und die Teilnehmer erhalten Tipps zu Reflexen, um eine gute Kommunikation zu gewährleisten.

In unseren Weiterbildungen kommen auch immer Personen mit Behinderungen zu Wort. Die Teilnehmer erhalten einen Einblick in die Herausforderungen von Menschen mit Behinderungen. Die Erfahrungsberichte sind immer den Aktivitäten der Teilnehmer angepasst.

Die Teilnehmer werden auch selbst in die Situation einer Person im Rollstuhl oder einer Person mit einer visuellen Behinderung gesetzt. Dies erlaubt es den Teilnehmern ein besseres Verständnis von Behinderungen durch konkrete Situationen im städtischen Umfeld zu entwickeln.

Mehr Informationen zu den Weiterbildungen finden Sie hier: https://info-handicap.lu/weiterbildung/

 

Wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit zwischen Info-Handicap und dem OSAPS vor?

Zunächst ist hervorzuheben, dass bereits eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit besteht – ein Aspekt, dem große Bedeutung zukommt. Es ist meine feste Überzeugung, dass alle relevanten Akteure im Bereich Barrierefreiheit kontinuierlich im Dialog stehen und gemeinsam an Lösungen arbeiten sollten. Letztlich setzen wir uns nicht im eigenen Interesse ein, sondern für die Rechte von Menschen mit Behinderungen – und das erfordert Koordination, Austausch und gegenseitige Unterstützung.

Ein gelungenes Beispiel dafür ist die Arbeitsgruppe im Bankensektor. Dank der konstruktiven Zusammenarbeit war es möglich, Menschen mit Behinderungen direkt in die Arbeitsprozesse einzubinden. Ihre Stimmen und Perspektiven werden gehört – ein zentraler Schritt hin zu einer inklusiveren Gesellschaft. Dieses Prinzip sollte dauerhaft Grundlage unserer Zusammenarbeit sein.

Darüber hinaus ist es von zentraler Bedeutung, die betroffenen Akteure weiterhin gezielt zu informieren und zu sensibilisieren. Nur wenn alle Beteiligten – insbesondere Dienstleistungs- und Produktanbieter – mit den Anforderungen des Gesetzes zur Barrierefreiheit vertraut sind und diese konsequent umsetzen, kann eine spürbare Verbesserung im Alltag erreicht werden.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Aufklärung von Menschen mit Behinderungen über ihre Rechte. Sie müssen wissen, welche Ansprüche sie im Rahmen des Gesetzes haben und an welche Stellen sie sich wenden können, wenn Barrieren festgestellt werden.

 

Zum Schluss, was erhoffen sie sich in Zukunft generell beim Thema „Barrierefreiheit“?

Grundsätzlich begrüßen wir ausdrücklich, dass es mittlerweile zwei gesetzliche Regelungen zur Barrierefreiheit gibt: das Gesetz zur Barrierefreiheit von öffentlichen Orten sowie das Gesetz zur Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen. Diese rechtlichen Rahmenbedingungen sind ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Allerdings ist Barrierefreiheit weit mehr als das bloße Vorhandensein gesetzlicher Vorschriften. Sie umfasst zahlreiche Aspekte, die jederzeit und für alle Menschen gewährleistet sein müssen – unter anderem auch die barrierefreie Kommunikation und der Zugang zu Informationen, welche auch in der UN-Behindertenrechtskonvention verankert sind. Es genügt nicht, wenn physische Zugänglichkeit gewährleistet ist oder Produkte und Dienstleistungen barrierefrei gestaltet sind. Auch der zwischenmenschliche Austausch muss so gestaltet sein, dass alle Menschen uneingeschränkt daran teilhaben können und alle Informationen müssen zu jeder zeit für jeden zugänglich und verständlich sein.

Ein weiterer zentraler Punkt ist: Barrierefreiheit betrifft nicht ausschließlich Menschen mit Behinderungen. Vielmehr ist sie für alle Menschen von Bedeutung. Jeder kann im Laufe seines Lebens – sei es vorübergehend oder dauerhaft – in eine Situation geraten, in der er oder sie auf Barrierefreiheit angewiesen ist.

Ein eindrucksvolles Beispiel liefert hier eine Illustration von Design for All International. Sie zeigt Menschen im Rollstuhl, mit Blindenstock, mit Kinderwagen und mit einem Rollkoffer. Daneben finden sich drei Aussagen: „Für 10 % der Gesellschaft ist Barrierefreiheit essentiell, für 40 % ist sie äußerst wichtig – und für 100 % ist sie komfortabel.“

Barrierefreiheit ist somit ein Thema, das alle betrifft – zu jeder Zeit und in jeder Lebenslage.

 

Vielen Dank für dieses kurze Gespräch.

 

Info-Handicap – Conseil national des personnes handicapées

65, avenue de la Gare

L-1611 Luxembourg

+352 366 466

info@iha.lu

info-handicap.lu

 

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